Silvesterkind

Es ist schon ein paar Jahre her. Es war ein Silvestermorgen, ich hatte Frühschicht-Rettung. Die Uhr im Aufenthaltsraum zeigt Viertel nach Sieben. Gerade waren mein Kollege und ich aus der Fahrzeughalle gekommen, nachdem wir unseren RTW wie jeden Morgen gecheckt hatten. Der Aufenthaltsraum der Rettungswache war in helles Neonlicht getaucht, ansonsten war noch alles dunkel draußen. Die Stadt schlief scheinbar noch. Es lag Schnee und in den Lichtkegeln der Straßenlaternen konnte man Schneeflocken beim Fallen beobachten.

Wir saßen gerade beim Frühstück und die Kaffeemaschine in der Ecke des Raumes surrte leise als der Melder ging. Einsatzalarm, gynäkologischer Notfall ohne Notarzt, Wehen alle 3 bis 5 Minuten war auf dem Display zu lesen. Es ging in eine Gemeinde etwas außerhalb der Stadt, mit Signal etwa 10 Minuten Fahrzeit.

Als wir die Stadtgrenze passiert hatten und an einem Waldrand entlang fuhren verwandelten sich die fallenden Schneeflocken in blau blinkende Punkte, die überall um den RTW herum flogen. Auch die Schneelandschaft flackerte in einem hektisch, blau blinkenden Licht auf. Im RTW war es ruhig (wir waren beide noch etwas müde), im Hintergrund lief leise das Radio und auch im Funk war alles still. Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, zu verhindern, dass die Räder des RTW auf der rutschigen Straße in Schlingern geraten, hätte man fast einen Hauch von Winterromantik in die Szene, die sich gerade um uns herum abspielte, hinein interpretieren können.

Weniger romantisch aber irgendwie beruhigend klang dann die Stimme des Disponenten im Funk: Der Ersthelfer sei bereits vor Ort, das Kind sei inzwischen auf der Welt.

Als wir am Einsatzort ankamen, öffnete uns der offensichtlich noch etwas aufgeregte, frisch gebackene Papa die Tür. Das kleine Silvesterkind lag bereits abgetrocknet und in Handtücher eingewickelt auf der Brust der Mutter. Nun, das einzig kuriose war, dass es sich bereits unfreiwillig selbst abgenabelt hatte. Kurz nachdem ihr Ehemann den Notruf abgesetzt hatte, hatte die in diesem Moment noch Schwangere das dringende Bedürfnis, noch einmal auf die Toilette zu gehen. Dabei war der Säugling dann als Sturzgeburt aus rund 40 cm Höhe auf den gefliesten Boden gefallen. Außer dass dabei eben die Nabelschnur gerissen war, war der Sturz für das Neugeborene allem Anschein aber nach glimpflich verlaufen.

Wir klemmten daher nur noch die beiden Enden der Nabelschnur ab, untersuchten das Neugeborene auf offensichtliche Verletzungen, brachten Mutter, Kind und Mutterpass in den RTW und fuhren beide zur Sicherheit auf die Wochenstation der Frauenklinik.

Wie so oft haben wir danach nicht mehr erfahren, ob auch nach der Geburt alles gut verlaufen ist und ob dem Kind bei seinem Sturz tatsächlich nichts passiert war. Es sind trotzdem auch diese Erlebnisse, die sich einprägen und an die man manchmal zurückdenkt. Es sind zum Glück nicht nur die spektakulären, schlimmen Einsätze, deren Bilder man nicht mehr vergisst. Manchmal ist es auch nur so etwas gewöhnliches und normales, und eben trotzdem so etwas außergewöhnliches wie eine Geburt an einem dunklen, verschneiten Silvestermorgen.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr 2016.

Euer Kittelträger

 

30 gegen 4

Das war mal wieder eine typische Samstag-Nacht-Schicht gestern. Wie sie im Buche steht.

Seit Anfang November gibt es in meiner Heimatstadt nachts einen RTW mehr, was aber an den Einsatzzahlen leider nicht sonderlich viel geändert hat. So hatte der erste RTW meiner Wache gestern Nacht acht Einsätze, mein RTW sieben. Auf dem Sofa einmal eine halbe Stunde ausspannen war möglich, schlafen bzw. ruhen überhaupt nicht.

Auch das Patientenklientel: wie in einer Vorzeige-Samstagnacht. Vier der sieben Einsätze drehten sich rund um den Alkohol, beim anderen RTW sah es auch nicht anders aus.

Der erste C2-Intox kam ziemlich früh, schon um kurz nach 22 Uhr. Ein junger Mann, der vor den Augen zweier Bundespolizisten im Strunz Hagel vollen Zustand die Treppe am Bahnhof runtergefallen war. Zwar hatte sein Kopf beim Sturz Bekanntschaft mit dem Gepäckförderband gemacht – so die beiden Polizisten – das interessierte den Patienten aber nur peripher, er sei ja schließlich Dr. „und nicht auf den Kopf gefallen“. (Mein neues Hobby seit gestern: Mir bei mist Wetter um die Uhrzeit schlechte Wortwitze von Patienten anhören). Den Vorschlag, ihn einmal mit ins KH zu nehmen, um ihn dort abzuklären kommentierte er mit „Ihr kleinen Wichser“ – was wir mal als ziemlich deutliches „Nein, keine Lust“ interpretierten. Nach Hause durfte er dennoch nicht, die Polizei nahm ihn mit zur Ausnüchterung aufs Revier.

Gute zwei Stunden später kam es dann vor einem Club in der Innenstadt zu einer Massenschlägerei. 30 gegen 4 … ziemlich faire Angelegenheit, oder? Ich vermute mal die 30 haben gewonnen und unser Patient war einer von den vieren. Die Folge war jedenfalls, dass die Fußgängerzone am Ende in eine besinnlich blau-blinkende Dauerbeleuchtung getaucht war. Auch während wir uns bereits um unseren Patienten kümmerten, kamen immer weitere Streifenwagen dazu, auch aus der Nachbarstadt. Am Ende dürften es dann mehr als zehn Streifenwagen und auch einige Polizeibeamte mit Diensthunden gewesen sein. Wir haben uns dann relativ zügig mit unserem Patienten in die Klinik verdrückt und das Aufräumen getrost der Polizei überlassen. Die können das besser.

Das nächste Opfer der Samstagnacht ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Erneut ein C2-Intox, allerdings deutlich weniger mitteilsam als der am Bahnhof. Lag da auf dem Gehweg in seiner Schneematsch-Pfütze und bekam von all dem, was um ihn herum passierte nicht mehr sonderlich viel mit. Ein Freund hatte noch versucht, ihn in diesem Zustand nach Hause zu schleppen. Bereits nach zwei Straßenkreuzungen hatte ihn allerdings die Kraft verlassen und so traten wir dann auf den Plan.

Und beim letzten Party-Einsatz der Nacht (es war inzwischen kurz vor 6 Uhr) holte uns die Schlägerei an dem Club in der Innenstadt wieder ein. Zunächst hatte uns die Leitstelle zu einer anderen Disko geschickt, dort solle schon wieder eine Schlägerei stattfinden. Dort angekommen, war jedoch von der gemeldeten nonverbalen Auseinandersetzung weit und breit nichts zu sehen. Ein Anruf bei der Leitstelle und – über einige Umwege – eine Nachfrage bei der Polizei ergab, dass die Einsatzstelle an einem anderen Club sei, eben dem wo bereits früher in der Nacht die Massenschlägerei stattgefunden hatte. Aber auch dort: die Disko geschlossen, die Gehsteige hochgeklappt, hier kloppte sich definitiv niemand mehr. Ein erneuter Rückruf bei der Polizei ergab, dass es sich bei dem Patienten um einen verletzten Polizeikollegen handele und dieser inzwischen schon wieder zurück im Polizeipräsidium sei. Da sich dieses nur rund 200 m entfernt befindet, fuhren wir nun das Präsidium an und fanden dort auch unseren Patienten. Er hatte während des Großeinsatzes bei der Massenschlägerei eine Ladung Pfefferspray abbekommen – ein „victim of friendly fire“ also – es gehe ihm aber inzwischen schon wieder gut, weswegen er unsere Hilfe nicht bräuchte. Wo wir aber schon mal da seien, könnten wir auch gleich noch in den Zellentrakt schauen, dort sei eine der Hauptpersonen der Schlägerei inhaftiert und auch er sei wohl von der Polizei ziemlich mit Pfefferspray eingenebelt worden. Die Polizei hatte ihm allerdings bereits ordentlich die Augen ausgespült und unseren Vorschlag, das einzige was wir für ihn tun könnten, wäre ihn in die Augenklinik zu bringen, lehnte die Polizei ab. Der Amtsarzt müsste ihn sowieso noch untersuchen und die Haftfähigkeit feststellen. Und so zogen wir in der Hoffnung auf den baldigen Feierabend wieder ab.

Das mit dem pünktlichen Feierabend klappte dann allerdings leider auch nicht wirklich. Ein letzter Einsatz eine halbe Stunde vor Schichtende, bescherte uns noch eine gute Überstunde. So wurden dann aus 12 schlaflosen Stunden 13 und das warme Bett zuhause winkte doch ziemlich energisch.

On the nightshift …

1:50 Uhr, „Mittagspause“.

Ich verbringe gerade meine letzte Schicht in diesen Semesterferien auf der Rettungswache, bevor es dann am Montag mit dem 5. Semester losgeht.

Der RTW, auf dem ich heute einen großen Teil der Nacht verbringe ist das „Arbeitstier“ meiner Wache, nicht umsonst trägt er manchmal den Beinamen „1/83-bück dich“. Nachts sind in meiner Heimatstadt auf drei Wachen insgesamt vier RTWs im Dienst, die Außenwachen mal nicht dazugezählt. Einer davon, meiner heute Nacht, ist ein so genannter „innerklinischer RTW“. Sieht aus wie ein RTW, ist besetzt wie ein RTW und ist ausgestattet wie ein RTW, nur ist er tagsüber vor allem für RTW- und Notarzt-Verlegungen im Stadtgebiet und nicht für Notfalleinsätze zuständig. Da allerdings nicht so viele überwachungs- oder intensivpflichtige Patienten über den Tag hinweg verlegt werden müssen wird er außerdem für Krankentransporte eingesetzt, auch wenn er dafür ziemlich überqualifiziert ist.

Nachts bekommt der „IKL“ eine Sonderrolle. Hier ist er das Mädchen für Alles. An manchen Wochentagen ist er das einzige Fahrzeug in der Stadt, welches Krankentransporte durchführt. Außerdem ist er natürlich auch für seine eigentliche Aufgabe da: die RTW- und Notarzt-Verlegungen. Wenn Not am Mann ist fährt er – in letzter Zeit immer häufiger – außerdem auch noch Primärrettung. Und wenn noch mehr Not am Mann ist, dann wird er schnell mal zum Notarzt-Zubringen für irgendeinen Reserve-Notarzt. Alles in allem also ziemlich viele Aufgaben für ein Fahrzeug in 12 Stunden.

Und so läuft bisher auch die heutige Nacht. In der ersten Schichthälfte stattliche sechs Fahrten, davon zwei Primäreinsätze, eine RTW-Verlegung und drei Krankentransporte. Ich hoffe in der zweiten Nachthälfte wird es etwas ruhiger, auch wenn ich eher Gegenteiliges befürchte, da heute ja Freitag-Nacht ist und – ich sagte es ja schon: „Mädchen für Alles“.

Mein bisheriger Rekord in dieser Schicht liegt übrigens bei 13 Fahrten in 12 Stunden … nachts.

Hygiene? Fehlanzeige!

In jedem ordentlichen Rettungsdienst-QM-Handbuch gibt es eine mehrere Seiten lange Liste, in denen die Hygiene- und Schutzmaßnahmen für Infektionstransporten genau festgelegt sind, meistens auf der Basis von Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Auf meiner Rettungswache werden diese Anweisungen sehr strikt gehandhabt und meiner Meinung nach ist das auch gut so. Zu jeder gängigen Infektionskrankheit – nicht nur zu den inzwischen auch in der Öffentlichkeit recht gut bekannten „Klinikkeimen“ MRSA, MRGN oder ähnlichen, findet sich eine genaue Auflistung wie die Erkrankung übertragen werden kann, welche Schutzmaßnahmen die Besatzung anzuwenden hat, welche Schutzkleidung der Patient zu tragen hat und welche Desinfektionsmaßnahmen nach dem Transport durchzuführen sind. Beginnend bei Handschuhen für die Besatzung, keiner Schutzkleidung für den Patienten und einer laufenden Kontaktflächendesinfektion, über den Einweg-Schutzoverall mit Mund-Nasen-Schutz und einer Scheuer-Wisch-Schlussdesinfektion aller Oberflächen im Fahrzeug bis hin zur Endreinigung durch einen staatlich geprüften Desinfektor (die ist aber glücklicherweise, sehr selten notwendig).

Wie gesagt: So wie ich das kenne werden diese Hygienevorschriften im Rettungsdienst inzwischen sehr konsequent umgesetzt, ähnliches Bild in den Krankenhäusern. Regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte man aber, wenn man einen infektiösen Patienten entweder in einem Altenheim abholen will oder ihn dort hinbringen will.

Häufig sind die nötigen Kittel vor der Zimmertür des Patienten zwar vorhanden, werden vom Pflegepersonal aber nicht angezogen, keine Ahnung ob aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit. Die Zimmer werden nicht entsprechend gekennzeichnet, Bewohner mit hochkontagiösen Krankheiten haben völlig ungeschützten Umgang mit anderen Bewohnern, essen mit ihnen am gleichen Tisch oder – besonders dreist – helfen sogar in der Küche.

Ein Altenheim, dass auf meiner persönlichen Skala der Hygiene-Negativrekorde einen Platz ganz weit oben einnimmt, durfte ich heute wieder einmal erleben. Wir brachten einen Patienten mit einer globalen MRSA-Infektion zurück in die Pflegeeinrichtung, aus der er kam. Es gab dort zwei Aufzüge, einen kleinen Personenaufzug und einen größeren, in den auch unsere Trage hineinpasste. Für diesen war allerdings ein Schlüssel nötig. Unser Patient konnte uns glücklicherweise sagen, wo dieser Schlüssel hinterlegt war: in der Küche gleich nebenan. Mein Kollege klopfte also (natürlich immer noch in Infektionsschutzkleidung) an der Küchentür und öffnete sie mit dem Fuß einen Spalt um in die Küche hineinrufen zu können und nach dem Schlüssel fragen zu können. Den Vorschlag des Patienten, doch einfach in die Küche hineinzugehen überhörten wir und taten dies natürlich nicht. Allerdings war der Vorschlag bezeichnend für das, was in Sachen Hygiene noch kommen sollte.

Als dann eine Person aus der Küche zu uns kam, kam sie leider nicht auf die Idee die Aufzugtür selbst aufzuschließen, sondern drückte meinem Kollegen den Schlüssel einfach in die Hand, also den Schlüssel, der aus der Küche des Heims kam, in den Schutzhandschuh mit dem wir davor an unserem Patienten rumgewerkelt hatten.

Im Wohnbereich des Patienten angekommen: keine Pflegekraft weit und breit zu sehen. Zum Glück wusste der Patient seine Zimmernummer selbst. Als wir am Zimmer ankamen: die nächste Überraschung. Die Zimmertür kein bisschen als Iso-Zimmer gekennzeichnet, kein Hygienewagen mit Schutzkitteln, Handschuhe und Mundschutz vor dem Zimmer, wie üblich. Das erste, was der Patient dann natürlich tat, nachdem wir ihn in seinen Rollstuhl umgelagert hatten, war seinen Mund-Nasen-Schutz abzunehmen.

Inzwischen reichlich irritiert verließen wir das Zimmer und machten uns noch auf die Suche nach einer Pflegekraft, um Bescheid zu sagen, dass der Bewohner wieder da sei und um eine kurze Übergabe zu machen. Als wir diese gefunden hatte, fragten wir noch nach ob denn seine Infektion überhaupt bekannt sei und warum keine Hygienemaßnahmen getroffen werden. Ihre Antwort, denkbar einfach und trotzdem irgendwie verstörend: „Wir haben das ja im PC“. Punkt. Sonst nichts. Auch auf den Hinweis, dass der Bewohner ja dann munter in seinem Rollstuhl auf den Gängen herumfahren könne: „Ja das ist so“. Sagte es und verschwand ohne ein weiteres Wort im Stationszimmer. Gerade als wir uns umdrehten sahen wir gerade noch so im Augenwinkel, wie unser Patient inzwischen schon wieder in seinem Rollstuhl auf den Gängen unterwegs war, natürlich ohne Mund-Nasen-Schutz.

Mein Kollege und ich machten uns also inzwischen mehr wütend als irrtiert zurück auf den Weg zum Ausgang, das gleiche Spiel wieder mit dem Schlüssel an der Küchentür. Dieses Mal allerdings mit dem Hinweis von unserer Seite den Schlüssel in der Küche doch bitte sofort zu desinfizieren.

In solchen Situation möchte man den Pflegekräften gerne klar seine Meinung sagen, tut es aber nicht. Zum einen würde das dann wieder unprofessionell aussehen und zum anderen ist man sich auch im Klaren darüber, dass dass ohnehin überhaupt nichts ändern würde.

Auf der einen Seite diskutieren die Medien ausgiebig über die fehlende Hygiene in deutschen Krankenhäusern, auf der anderen Seite herrschen dann in vielen Altenheimen solche verheerenden Zustände. Da kann man wirklich nur noch den Kopf schütteln.

cand. med. – Tschüss Vorklinik!

Am Donnerstag um 17:30 Uhr war es vollbracht: Der mündlich-praktische Teil des Physikums ist vorbei, ich habe bestanden, konnte meine wirklich mehr als zufriedenstellende Note aus dem Schriftliche halten und habe die Vorklinik endlich erfolgreich abgeschlossen. Der Kitteltäger ist zum „cand. med“ geworden.

Nachdem ich am Donnerstagabend nach 3,5 Stunden Prüfung – von der ich zwar selbst nur ungefähr 50 Minuten geprüft wurde, aber trotzdem natürlich dauerhaft angespannt war – einfach völlig platt und erschöpft war, kann ich jetzt endlich meine Freizeit genießen. Es ist einfach ein wunderbares Gefühl morgens nach dem Ausschlafen in den Tag hinein leben zu können, nicht an der Schreibtisch zu müssen, nicht sich dauerhaft über die Prüfung Gedanken machen zu müssen? Habe ich genug gelernt? Reicht das? Könnte ich noch mehr lernen? Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich heute jetzt schon mit dem Lernen aufhöre?

Dieses Gefühl kann ich mir jetzt noch die nächsten fünf Tage gönnen. Dann steht in erster Linie Geld verdienen an. Den Rest der Semesterferien werde ich noch auf meiner Rettungswache arbeiten. Und auch wenn das dann Schichtdienst und frühes Aufstehen bedeutet, nach 2,5 Monaten Physikumsvorbereitung und dem ganzen Prüfungsstress freue ich mich darauf wirklich.

Motivation

Die freien Tage nach dem schriftlichen Physikum haben gut getan. Nach den beiden Prüfungstagen war erstmal gehörig die Luft raus. Inzwischen stecke ich aber schon wieder mitten in der Vorbereitung auf das Mündliche.

Momentan besteht das tägliche Lernen vor allem darin, das was ich schon fürs Schriftliche gelernt hatte zu wiederholen und nicht wieder zu vergessen. Übermorgen, pünktlich zwei Wochen vor meinem Prüfungstermin, erfahre ich dann auch meine Prüfer: ein Anatom, ein Physiologe und ein Biochemiker.

Außerdem gibt es übermorgen und am Freitag jeweils nochmal einen Übungstermin im Mikroskopiersaal und im Präpsaal. In den Histo-Präparaten orientieren, Färbungen richtig zuordnen, Köhlern üben, sich am Körperspender wieder zurechtfinden. Das letzte Mal im Präpsaal war ich schließlich vor fast einem halben Jahr, das letzte Mal selbst mikroskopiert habe ich im 2. Semester.

Wenn ich meine mündlichen Prüfer weiß, kann ich mich dann auch im Gegensatz zum momentanen allgemeinen Wiederholen, gezielter auf die Prüfung vorbereiten. Jeder Prüfer hat zum Glück seine Lieblingsthemen, fragt manche Inhalte besonders gern ab oder lässt manche Themen fast komplett weg.

Ich muss allerdings auch zugeben, dass es nach dem überstandenen schriftlichen Physikum schon eher ein Zwingen ist, mich jeden Tag wieder für Stunden an den Schreibtisch zu setzen und das nochmal zu lernen, was man eigentlich schon davor gelernt hatte – einfach immer wieder, um es nicht zu vergessen. Mit dem Unterschied, dass es nicht wie im schriftlichen Physikum ausreicht, aus fünf Antworten die eine richtige oder falsche herauszufinden, sondern dass ich die Zusammenhänge jetzt auch selbst, aktiv und in eigenen Worten beschreiben können muss. Bei vielen Themen klappt das schon ganz gut, bei manchen eher noch weniger.

Auch wenn es nur noch ein Schritt in Richtung Klinik ist, die nächsten zwei Wochen werden noch einmal anstrengend und ich denke, ich werde noch mehr als einmal die Lust verlieren, mich an den Schreibtisch zu setzen.

Aber was muss, das muss nunmal …

Schriftliches Physikum – Check!

Es ist das Wochenende nach dem schriftlichen Physikum und nachdem ich die letzten Tage ein bisschen unterwegs war, um einfach mal wieder meine Freizeit zu genießen, möchte ich euch doch noch von meinen Erlebnissen am Dienstag und Mittwoch erzählen.

Tag 1:

Eigentlich hatte ich in der Nacht vor dem ersten Prüfungstag erstaunlich gut geschlafen und war ausgeschlafen, als der Wecker klingelte. Schnell einen Happen gefrühstückt – sonderlich viel Hunger hatte ich am Dienstagmorgen nicht – und dann ging es schon los. Thea fuhr mich netterweise zur Prüfungshalle, wo schon einige meiner Kommilitonen wie bestellt und nicht abgeholt rumstanden und sich etwas angespannt unterhielten. Im Foyer der Halle dann Jacke und Rucksack abgelegt – um 8:30 Uhr war Einlass – und nach der Ausweis- und Zulassungsbescheid-Kontrolle ging es dann in den Prüfungssaal.

Im Großen Saal der Halle waren dann die rund 300 Plätze fein säuberlich vorbereitet, auf jedem Tisch lag eine Karte mit der Sitzplatznummer, eine Schreibunterlage mit dem Logo des Landesprüfungsamtes und der Antwortbogen. Vorne auf der Bühne saßen die zwei Prüfungsverantwortlichen und an den Längsseiten des Saals nochmal ungefähr 20 Aufsichtspersonen.

Eigentlich steht in den offiziellen Hinweisen zur Prüfung, dass sofort nach Betreten des Prüfungssaals der jeweilige Sitzplatz einzunehmen ist, darauf wurde aber zum Glück eher wenig Wert gelegt, sodass wir bis kurz vor 9 Uhr noch ein bisschen durch den Saal laufen und uns unterhalten konnten.

Bis wird dann einige Minuten vor Prüfungsbeginn „ganz herzlich zum ersten Tag des schriftlichen Teils des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung“ begrüßt wurden und gebeten wurden unsere Plätze einzunehmen. Bevor die Prüfung nun losgehen durfte folgten noch Hinweise zur Prüfung und die offizielle Belehrung („Die Prüfungszeit beträgt 4 Stunden und 0 Minuten, es sind 160 Fragen zu beantworten. Die gewählte Antwortmöglichkeit ist mit einem kräftigen Bleistiftstrich zu markieren. Hilfsmittel jeglicher Art sind nicht zugelassen. Wenn Sie während der Prüfung auf die Toilette müssen … bla, bla, bla“).

Um kurz nach 9 Uhr wurden dann die immerhin stattliche 63 Seiten langen Fragenhefte ausgeteilt und die Prüfung begann. Kaum war ich im Kreuzen drin sank dann glücklicherweise auch die Aufregung und ich konnte mich auf die 160 Fragen zu Physik, Physio, Chemie und Biochemie voll konzentrieren. Nachdem ich mich einmal komplett durch das Fragenheft durchgearbeitet hatte, machte ich mich danach an die Fragen, bei denen ich mich nicht gleich beim ersten Durchgang für eine Antwort entscheiden konnte.

Erfahrungsgemäß braucht man am ersten Tag für die 160 Fragen deutlich länger, als am zweiten, da relativ viele Rechenaufgaben dabei sind. Dementsprechend war ich nach etwas mehr als 3,5 Stunden fertig.

Tag 2:

Der zweite Tag – hatte man uns schon davor gesagt – ist der deutlich angenehmere der beiden Prüfungstage. Die Naturwissenschaften sind abgehakt, die Anatomiefragen sind berechenbarer als Physio und Biochemie und Psycho ist sowieso ein Punktelieferant. Und so war es dann auch. Nachdem wir wieder die morgendliche Belehrung (dieses Mal in der Kurzvariante) gehört hatten, ging das muntere Kreuzen wieder los. Dieses Mal allerdings viel flüssiger als am Tag davor. In Psycho waren zwar wie immer die Fragen ziemlich verklausuliert formuliert, „Psycho-Geschwurbel“ eben, letzten Endes zielen die Psycho-Fragen aber immer auf ähnliche Inhalte. Auch Bio, Histo und Anatomie liefen erfreulicherweise echt gut. Nach etwas mehr als 2 Stunden konnte ich deshalb Bleistift und Fragenheft weglegen, meine Prüfungsunterlagen abgeben und – ehrlich gesagt – in der festen Überzeugung bestanden zu haben – den Prüfungssaal verlassen.

Und dann war es geschafft. Thea kam dann noch zur Halle, wo wir zusammen warteten, bis die Prüfungszeit vorbei war und ich mein Fragenheft wieder abholen durfte.

Zuhause habe ich dann meine Antworten bei Medi-Learn eingegeben. Per SMS kamen so gegen halb 9 abends die Ergebnisse. Laut Medi-Learn hat es zu einer guten 2 gereicht, sodass ich jetzt relativ entspannt auf den offiziellen Bescheid des Landesprüfungsamtes warten kann, der in den nächsten drei Wochen kommen sollte – also noch vor meinem mündlichen Prüfungstermin.

Mein Fazit: Mit der entsprechenden Vorbereitung ist das schriftliche Physikum echt machbar. Manchmal stößt man auf so typische IMPP-Fragen, bei denen man sich denkt „Wtf, nie gehört“, ist aber zum Glück eher selten. Die Lernerei und die am Ende insgesamt 7.307 gekreuzten Altfragen haben sich definitiv gelohnt, auch wenn es anstrengend war.

Die nächsten Tage werde ich es mir einfach gönnen, nichts für die Uni zu tun. Allerdings winkt dann aber auch schon wieder die Vorbereitung auf das mündliche Physikum. Bis dahin sind es aber ja noch fast vier Wochen …

Kreuzen, Kreuzen, Kreuzen

Noch vier Tage bis zum Physikum. Mit Lernen bin ich inzwischen eigentlich durch alle Fächer komplett durch. Damit mir zuhause die Decke nicht auf den Kopf fällt und ich mich nicht noch mehr als unbedingt nötig verrückt mache, kreuze ich fleißig Altfragen. Heute zum Beispiel waren es zwei komplette Physikumsprüfungen, insgesamt also 620 Fragen. Und ich muss ehrlich zugeben: Die Ergebnisse lassen mich inzwischen auch ziemlich zuversichtlich auf nächsten Dienstag schauen.

Ich habe mir heute mal die Mühe gemacht und alle Altfragen addiert, die ich im Laufe des letzten Monats zur Vorbereitung auf das Physikum gekreuzt habe. Es sind inzwischen sage und schreibe 5.862 Fragen, macht also 29.310 Antwortmöglichkeiten. Und in den nächsten drei Tagen werden sicher noch einige Hundert dazukommen.

Was mir inzwischen mehr „Sorgen“ macht, ist, dass ich irgendwie zu schnell kreuze. Statt der insgesamt 8 Stunden für 320 Fragen habe ich heute leider nur gut 3 Stunden gebraucht. Bleibt die Frage, was ich dann in der Prüfung mit den restlichen Stunden anfange. Früher gehen darf man nicht wenn man fertig ist. Handy ist natürlich auch keine Alternative während eines Staatsexamens, das muss natürlich am Eingang abgegeben werden – übrigens auch Jacken, Rucksäcke und (!) Plüschtiere  (So steht es in den offiziellen Hinweisen des Landesprüfungsamtes) … Ich glaube Däumchendrehen wäre eine Möglichkeit.

Post ist da

Sehr geehrter Herr – – – – – – – – – – -,

Sie werden gemäß § 10 Abs. 1 ÄAppO 2002 zum
Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung im Herbst 2015 zugelassen
und gemäß § 17 ÄAppO 2002 zum schriftlichen und mündlichen Teil der Prüfung geladen.

Die schriftliche Prüfung findet am   18.08.2015 von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr
                                                         19.08.2015 von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr

in – – – – – – – – – – – – – – statt. Sie haben die Sitzplatznummer – – – -.

Ihre mündliche Prüfung findet am 17.09.2015 um 14:00 Uhr in – – – – – – – – – – – – – – statt.

Die Prüfung erfolgt vor der Prüfungskommission Nr. – -.
Die für diese Prüfung vorgesehenen Prüfer entnehmen Sie bitte 14 Tage vor dem Prüfungstermin dem Aushang beim Dekanat/Prüfungssekretariat.

Bitte beachten Sie auch die beiliegenden Hinweise, die Bestandteil dieses Bescheids sind. Wir wünschen Ihnen für die Prüfung viel Erfolgt.

Mit freundlichen Grüßen,

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 

Auch Mensch

Zurzeit ist Volksfest. Das heißt für unser eins als Rotkreuzler in erster Linie eines: Sanitätsdienst. An sich sind das sehr beliebte Dienste. Man macht sich einen schönen Abend mit netten Kollegen, läuft in regelmäßigen Abständen Streife über den Volksfestplatz, sieht den Leuten in den Fahrgeschäften zu, kauft sich gebrannte Mandeln. Langweilig wird es einem auf einem Volksfest-Dienst auch nicht, da es immer irgendwas zu tun gibt, mindestens im Halbstunden-Takt kommen Besucher zu uns und fragen uns nach einen Pflaster für die Blase am Fuß oder nach etwas zum Kühlen für den verstauchten Knöchel oder den Insektenstich. Hinzu kommen natürlich durchschnittlich alle zehn Minuten die Fragen nach der Toilette. Da wird das Rote Kreuz schon Mal ganz schnell zum blauen „I“, wie am Infopoint.

Und dann, vielleicht ein- bis zweimal pro Abend gibt es die Besucher, die entweder selbstverschuldet (der Alkohol lässt grüßen) oder völlig ohne eigenes Zutun wirklich dringend auf unsere Hilfe angewiesen sind, diejenigen, die sich nicht nur in den Finger geschnitten haben oder sich beim Laufen in Flip Flops eine Blase geholt haben, diejenigen die echte Notfälle sind. Ob sie nun volltrunken und bewusstlos an irgendeinem Fahrgeschäft liegen oder mit Brustschmerzen und Atemnot zu uns kommen.

Auf einmal drängen dann plötzlich drei oder vier Sanitäter in die Menge, der Menschen die eigentlich nur eines wollen: Feiern, und leider zu oft dabei auch vergessen, dass wir hier nicht nur zum Spaß sind, sondern dass unser Gegenüber sich vielleicht im Moment tatsächlich in einer – zumindest für ihn – hilflosen Lage befindet.

Gerade am späteren Abend, wenn der Alkoholkonsum steigt, sind abfällige Bemerkungen über uns oder Besucher, die sich einen Spaß aus unserer Arbeit machen wollen, schon normal. Wenn man mit der Trage zum Patienten will kommt es dann schon einmal vor, dass Betrunkene die Möglichkeit sehen und auf der Trage sitzend mitfahren wollen; oder sich uns absichtlich in den Weg stellen, weil sie ja so lustig sind, den Ernst der Lage aber in diesem Moment überhaupt nicht sehen.

Als gestern kurz vor Mitternacht einer unserer Patienten von einem RTW abgeholt werden musste und dieser danach gezwungenermaßen auf den Fußgängerwegen des Volksfestplatz wenden musste und wir versuchten zu viert den Platz um den RTW freizuhalten, damit dieser wenden kann, ohne die Fußgänger zu gefährden, fielen schnell Bemerkungen wie „Alter was ist falsch bei dir! Ich bleib jetzt doch hier nicht stehen!“, das bekräftigende „Ey“ am Ende des Satzes nicht zu vergessen. Oder der schon etwas angetrunkene Jugendliche, der meine Kollegin anfährt „Was denn? Der fährt doch bloß rückwärts!“ und nur rund einen Meter hinter dem rückwärts fahrenden RTW vorbei läuft.

Manchmal möchte man in so einem Moment dann den Leuten Äußerungen in ähnlicher Freundlichkeit hinterher rufen. Aber das wäre unprofessionell, also schluckt man das und denkt sich seinen Teil.

Man darf in solchen Situationen keinen Respekt erwarten, auch Dankbarkeit ist inzwischen eher zur Nebensache geworden. Was man sich aber wünscht, ist auch an solchen Abenden seiner ehrenamtlichen Arbeit nachgehen zu können, ungestört und mit der Gewissheit bei der nächsten Äußerung nicht auch noch einen tätlichen Angriff zu kassieren.