Es ist schon ein paar Jahre her. Es war ein Silvestermorgen, ich hatte Frühschicht-Rettung. Die Uhr im Aufenthaltsraum zeigt Viertel nach Sieben. Gerade waren mein Kollege und ich aus der Fahrzeughalle gekommen, nachdem wir unseren RTW wie jeden Morgen gecheckt hatten. Der Aufenthaltsraum der Rettungswache war in helles Neonlicht getaucht, ansonsten war noch alles dunkel draußen. Die Stadt schlief scheinbar noch. Es lag Schnee und in den Lichtkegeln der Straßenlaternen konnte man Schneeflocken beim Fallen beobachten.
Wir saßen gerade beim Frühstück und die Kaffeemaschine in der Ecke des Raumes surrte leise als der Melder ging. Einsatzalarm, gynäkologischer Notfall ohne Notarzt, Wehen alle 3 bis 5 Minuten war auf dem Display zu lesen. Es ging in eine Gemeinde etwas außerhalb der Stadt, mit Signal etwa 10 Minuten Fahrzeit.
Als wir die Stadtgrenze passiert hatten und an einem Waldrand entlang fuhren verwandelten sich die fallenden Schneeflocken in blau blinkende Punkte, die überall um den RTW herum flogen. Auch die Schneelandschaft flackerte in einem hektisch, blau blinkenden Licht auf. Im RTW war es ruhig (wir waren beide noch etwas müde), im Hintergrund lief leise das Radio und auch im Funk war alles still. Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, zu verhindern, dass die Räder des RTW auf der rutschigen Straße in Schlingern geraten, hätte man fast einen Hauch von Winterromantik in die Szene, die sich gerade um uns herum abspielte, hinein interpretieren können.
Weniger romantisch aber irgendwie beruhigend klang dann die Stimme des Disponenten im Funk: Der Ersthelfer sei bereits vor Ort, das Kind sei inzwischen auf der Welt.
Als wir am Einsatzort ankamen, öffnete uns der offensichtlich noch etwas aufgeregte, frisch gebackene Papa die Tür. Das kleine Silvesterkind lag bereits abgetrocknet und in Handtücher eingewickelt auf der Brust der Mutter. Nun, das einzig kuriose war, dass es sich bereits unfreiwillig selbst abgenabelt hatte. Kurz nachdem ihr Ehemann den Notruf abgesetzt hatte, hatte die in diesem Moment noch Schwangere das dringende Bedürfnis, noch einmal auf die Toilette zu gehen. Dabei war der Säugling dann als Sturzgeburt aus rund 40 cm Höhe auf den gefliesten Boden gefallen. Außer dass dabei eben die Nabelschnur gerissen war, war der Sturz für das Neugeborene allem Anschein aber nach glimpflich verlaufen.
Wir klemmten daher nur noch die beiden Enden der Nabelschnur ab, untersuchten das Neugeborene auf offensichtliche Verletzungen, brachten Mutter, Kind und Mutterpass in den RTW und fuhren beide zur Sicherheit auf die Wochenstation der Frauenklinik.
Wie so oft haben wir danach nicht mehr erfahren, ob auch nach der Geburt alles gut verlaufen ist und ob dem Kind bei seinem Sturz tatsächlich nichts passiert war. Es sind trotzdem auch diese Erlebnisse, die sich einprägen und an die man manchmal zurückdenkt. Es sind zum Glück nicht nur die spektakulären, schlimmen Einsätze, deren Bilder man nicht mehr vergisst. Manchmal ist es auch nur so etwas gewöhnliches und normales, und eben trotzdem so etwas außergewöhnliches wie eine Geburt an einem dunklen, verschneiten Silvestermorgen.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr 2016.
Euer Kittelträger